Die St. Johannes Schützenbruderschaft feiert 1991 ihr 100jähriges
Vereinsjubiläum das ist sicherlich Grund genug, einen Blick
zurückzuwerfen auf die Menschen und Ereignisse, die diese Zeit und
die Geschicke der Bruderschaft prägten.
Der vorliegenden Festschrift wurde zum Ziel gesetzt, in Geschichten,
Anekdoten und Berichten an zurückliegende Zeiten zu erinnern. Alte
und weniger alte Dokumente, Fotos, Sitzungsprotokolle und Jahresberichte
dienten als Hilfe, ein verflossenes und unwiederbringliches Jahrhundert
dörflichen Lebens nachzuzeichnen. Doch diese Informationen fügten
sich zu einem Mosaik zusammen, das erst durch die zahlreichen Ergänzungen
in Gesprächen mit Zeitzeugen oder deren Freunden, Bekannten und Nachfahren
ein lebendiges Bild entstehen ließ.
Das Verfassen dieser Festschrift war aber auch geprägt durch ein
Anliegen, das über reine Chronistenpflicht hinausreicht: Sie sollte
u.a. die Frage nach der gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung
des Schützenwesens aufwerfen. Diese Frage kann und soll hier jedoch
nicht endgültig beantwortet werden. Vielmehr wollen wir verdeutlichen,
daß die kritischen Gedanken besonders der jüngeren Generation
ernst genommen werden. Sie verdienen aufmerksame Beachtung und selbstkritische
Stellungnahme.
Natürlich ist eine Schützenbruderschaft in stärkerem Maße
der Wahrung der Tradition verpflichtet als z.B. ein Sportverein
nicht umsonst stellt sie ihr Vereinsleben unter die Prinzipien Glaube,
Sitte und Heimat. Aber auch die Schützenbruderschaften verlieren
ihre Lebendigkeit, wenn sie sich im Blick auf das Gestern und Vorgestern
erschöpfen, ohne sich den Fragen und Problemen der Gegenwart zu stellen!
Die Bewahrung alter Traditionen, Gewohnheiten und Gebräuche darf
nicht zum Selbstzweck werden, sondern sie sollte Erfahrungen und Sicherheiten
vermitteln, deren Wert gemessen wird im Blick auf die Menschen von heute.
Ebenso falsch aber wäre es, altes Brauchtum zugunsten kurzlebiger
Modeerscheinungen aufzugeben.
Die Schützen sind nicht die ewig Gestrigen, die nur der Idylle "der
guten alten Zeit" nachtrauern; gerade in einem so kleinen Ort wie
Wimbern zählen sie zu den gesellschaftlichen Kräften, die das
dörfliche Leben mittragen und -gestalten. Auch in Krisenzeiten wie
nach den beiden Weltkriegen haben sie ihre Bereitschaft zu gegenseitiger
Unterstützung unter Beweis gestellt.
Aber so könnten kritische Leserinnen und Leser zu Recht einwenden
was tut der Verein hinsichtlich der Probleme und Erfordernisse
der Gegenwart und der Zukunft wie im Bereich des Umweltschutzes oder der
zunehmenden Gewaltkriminalität. Die Menschen von heute beschäftigen
die Fragen der Friedenssicherung und Nahrungsversorgung einer rasant anwachsenden
Weltbevölkerung, sie beklagen Armut, Wohnungsnot und zunehmende Anonymität
in unseren Städten.
Welche Hilfe können die Schützenbruderschaften vor dem Hintergrund
dieser Probleme leisten? Sie haben ja bereits Schwierigkeiten so
werden kritische Stimmen einwerfen die Frauen, Kinder und Jugendlichen
in ihr Vereinsleben einzubinden.
Doch trotz der begrenzten Möglichkeiten einer Schützenvereinigung
kommt ihr in diesem Zusammenhang eine eigenständige Bedeutung zu,
die u.a. auf ihrer Fähigkeit beruht, Mitglieder ganz unterschiedlicher
Altersgruppen in Kontakt zu halten und so Erfahrungen und Neues sinnvoll
miteinander zu verbinden: In der St. Johannes Schützenbruderschaft
ist jedes fünfte Mitglied Rentner. Diesem Umstand trägt unser
Verein nicht nur durch Altennachmittage und den Besuch älterer Mitglieder
zu runden Geburtstagen Rechnung. Gerade am Schützenfestmontag
während des Vogelschießens nehmen zahlreiche ältere
Schützenbrüder teil.
Ältere Menschen werden in Zukunft das Bild unserer Gesellschaft
zunehmend prägen: Während zum Zeitpunkt der Gründung unserer
Bruderschaft von 100 Menschen in Deutschland nicht einmal 5 über
65 Jahre alt waren, sind es heute nahezu viermal soviele. Die Lebenserwartung
eines Neugeborenen betrug damals nur etwa 40 Jahre, während sie heute
bei ca. 75 Jahren liegt. Das wirft nicht nur Probleme im Bereich der Altersversorgung
auf, sondern es wird zu Recht kritisiert, daß ältere und vor
allem hochbetagte Menschen zu wenig in gesellschaftliche Zusammenhänge
eingebunden sind. Einen bescheidenen Beitrag zu einer solchen Integration
zu leisten, sollte Anliegen der Schützen sein.
Doch unsere Bruderschaft versucht nicht nur, als Bindeglied zwischen
den Generationen zu dienen: Sie möchte gleichzeitig ein verläßlicher
Partner für die Menschen und Vereine in Wimbern sein. In diesem Zusammenhang
kommt der Schützenhalle eine zentrale Bedeutung zu, denn sie ist
zugleich ein Ort fröhlichen Beisammenseins und harter Arbeit.
Seit nunmehr 24 Jahren ist sie Schauplatz von Schützen- und Pfarrfesten,
Polterabenden, Familien-, Betriebs- und Karnevalsfeiern. Gleichzeitig
beherbergt sie den Schießstand der Sportschützen vom SSC Wildschütz
und dient den Tischtennisspielern seit einigen Jahren als Sporthalle.
Schon traditionell sind die Feste der Freiwilligen Feuerwehr im Herbst
und die Nikolausfeier der FreizeitSportGemeinschaft. Selbst
wenn diese Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt,
führen derartige Aktivitäten bereits zu einer Nutzung der Halle
an mehr als zweihundert (!) Tagen im Jahr. Von daher darf sie getrost
für sich in Anspruch nehmen, eines der Zentren dörflichen Lebens
in Wimbern zu sein.
Mit der Aufzählung der genannten Vereine, Clubs und Organisationen
wird aber gleichzeitig deutlich, daß es einer Schützenbruderschaft
nicht gelingen kann, alle Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen
die Gründung anderer Vereine muß daher als ein Versuch
begrüßt werden, solche Angebotslücken zu schließen.
In der Satzung der "St. Johannes Schützenbruderschaft Wimbern
e.V." sind ihr Wesen und ihre Aufgabe in § 2 näher erläutert;
dort sind unter anderem der "Ausgleich sozialer und konfessioneller
Spannungen", "Werke christlicher Nächstenliebe", "Dienst
für das Gemeinwohl aus verantwortungsbewußtem Bürgersinn"
und "tätige Nachbarschaftshilfe" als Aufgaben der Mitglieder
aufgelistet ein sicherlich hoher Anspruch, den immer voll zu erfüllen
sehr schwer ist!
Gerade vor dem Hintergrund der akuten sozialen Probleme, die sich in
der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung verstärken werden,
stellt sich ein derartig formulierter Anspruch in neuem Licht dar. Bemerkenswert
ist in diesem Zusammenhang vor allem auch der § 18, in dem es heißt:
"Die Mitglieder verpflichten sich zur Hilfeleistung in Notfällen.
Armen und in Not geratenen Mitgliedern muß der Beitrag ganz oder
teilweise erlassen werden. Niemand darf von der Mitgliedschaft abgewiesen
oder ausgeschlossen werden, weil er arm oder bedürftig ist."
Damit ist keineswegs mildtätiges Almosengeben gefordert, sondern
ein klares, unbeschneidbares Recht auf die würdevolle Inanspruchnahme
aller Mitgliedsrechte auch in Notsituationen.
Doch die Satzung enthält auch einige Punkte, die in Zukunft kritischer
Überprüfung bedürfen. So schließt die Formulierung:
"Die St. Johannes Schützenbruderschaft ist eine Vereinigung
christlicher Männer" (§ 4, Abs. 3) nicht nur alle Frauen
aus, sondern ebenso z.B. Menschen aus fremden Kultur und Religionskreisen
sowie aus der Kirche Ausgetretene. Auch die Betonung, ein verheiratetes
katholisches Mitglied müsse "in einer nach katholischem Kirchenrecht
geordneten Ehe" leben (§ 4, Abs. 4), erscheint in einer Zeit,
in der mehr als ein Drittel aller Ehen geschieden werden, diskussionswürdig.
Mit einer selbstkritischen Prüfung der Vereinssatzung soll aber
keineswegs der Abkehr von den Prinzipien Glaube, Sitte und Heimat das
Wort geredet werden; im Gegenteil haben diese Grundgedanken des Schützenwesens
im Verlauf der einhundert Jahre seit der Vereinsgründung ihre Tragkraft
unter Beweis gestellt und nichts an Aktualität eingebüßt.
Sie müssen heute jedoch mit neuen Inhalten und neuem Leben gefüllt
werden, indem sich die Schützenbruderschaft den genannten Herausforderungen
stellt. In diesem Sinne lebt ein Schützenverein ebenso wie jede andere
Gemeinschaft nicht aus den Satzungen heraus, sondern aus der Grundhaltung
und Tatkraft seiner Mitglieder.
Schon die "Gründerväter" der St. Johannes Schützenbruderschaft
haben erkannt, daß sie ein Vereinsleben nicht nur auf liebgewonnenen
Gewohnheiten aufbauen konnten. Wie die vorliegende Festschrift dokumentiert,
haben sie immer wieder mit alten Traditionen gebrochen und neue begründet.
Das taten sie sicherlich nicht, um "Vorreiter" zu sein, sondern
weil sie nur so ihren eigenen Bedürfnissen und den Interessen der
Menschen in Wimbern dienen konnten.
In diesem Bewußtsein ist die gegenwärtige Schützengeneration
aufgefordert, einen maßvollen Mittelweg zu beschreiten, der weder
Althergebrachtes zum "goldenen Kalb" erhebt, noch Grundsätze
und gewachsenes Brauchtum unüberlegt aufgibt.
Doch bei aller Betonung der Brauchtumspflege und der sozialen Verantwortung
darf das zentrale Wesen der Schützenbruderschaften nicht verschwiegen
werden: Es geht ihnen heute wie vor 100 Jahren auch und gerade darum,
Gelegenheit zu fröhlichem und unbeschwertem Beisammensein zu bieten.
Den Westfalen und besonders den Sauerländern wird nicht ganz zu
Unrecht nachgesagt, bevor man mit ihnen "warm" werde, müsse
man "einen Sack Salz mit ihnen gefressen haben". Mit anderen
Worten: Es ist nicht leicht, den Zugang zu den Menschen dieser Region
zu finden, zumal in einem so kleinen Ort wie Wimbern darüber
wissen sicher viele "Zugezogene" ein Lied zu singen. Vielleicht
konnten die Veranstaltungen der St. Johannes Schützenbruderschaft
in den letzten 100 Jahren beim Kennenlernen ein wenig unterstützen.
Dafür spricht z.B. die Liste der Vorstandsmitglieder, in der sich
schon seit der Vereinsgründung vor 100 Jahren nicht nur einige Namen
aus den Nachbarortschaften, sondern auch zahlreiche "Poahlbürger"
finden lassen.
Besonders in einem Ort, der wie Wimbern in zwei doch recht deutlich voneinander
abgegrenzten Siedlungsgebiete aufgeteilt ist, wird ein Bindeglied, mit
dem sich beide Teile identifizieren können, dringend benötigt.
Dies um so mehr, als in der Vergangenheit mit der kommunalen Neugliederung
und der Angleichung der Kirchengemeinden an die politischen Gemeinden
zentrale Bereiche des dörflichen Selbstverständnisses verlorengegangen
sind: Einerseits wurde die selbständige Grundschule geschlossen,
andererseits fühlt sich ein Teil der Bevölkerung der Barger
St. Johannes Baptist Gemeinde, der andere Teil aber der St. Antonius Pfarrei
in Wickede zugehörig.
Die zahlreichen Herausforderungen, die sich unserer Bruderschaft jetzt
und in Zukunft stellen werden, sind sicherlich nur in einer lebendigen
Gemeinschaft zu leisten, die bereit ist, auch an sich selbst zu arbeiten.
Konsequenterweise verstehen der Vorstand und der Festausschuß die
vorliegende Festschrift deshalb nicht nur als eine Zusammenfassung einer
100jährigen Vereinsgeschichte. Vielmehr ist die Gegenwart und die
Zukunft unserer Gemeinschaft nur vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit
zu erklären und zu verstehen. Gleichzeitig sollte um das Verständnis
derer geworben werden, die unserer Bruderschaft distanziert gegenüberstehen.
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